Mitgefühl statt Mitleid - Ethisches Storytelling im Fundraising
- Dr. Eva Wieners
- 18. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Geschichten berühren uns emotional – das macht sie im Fundraising so wirkungsvoll. Sie schaffen Nähe, wecken Emotionen und bewegen Menschen dazu, sich für eine gute Sache zu engagieren. Doch mit dieser Kraft geht Verantwortung einher. Wie erzählen wir Geschichten, ohne Leid zu instrumentalisieren oder Betroffene auf stereotype Rollen zu reduzieren? In diesem Artikel widmen wir uns der Kunst, Mitgefühl zu wecken statt Mitleid zu provozieren und dabei stets Integrität und Respekt zu wahren. Wie können wir unsere besondere Verantwortung annehmen und wie kann ethisches Storytelling im Fundraising gelingen.
Warum Storytelling im Fundraising wirkt
Fundraising lebt von Beziehungen und Beziehungen entstehen durch Geschichten. In einer Welt voller Fakten, Zahlen und Informationsoverload schaffen es Geschichten, das Herz zu erreichen, bevor der Verstand ein Urteil fällt. Sie berühren, bleiben im Gedächtnis und können komplexe Themen verständlich und emotional nachvollziehbar machen. Genau deshalb ist Storytelling eines der wirksamsten Werkzeuge im Fundraising.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass unser Gehirn auf Geschichten anders reagiert als auf reine Daten. Werden Erlebnisse erzählt, aktivieren sich nicht nur die Sprachzentren, sondern auch die Areale für Emotion, Empathie und Handlung. Das macht Geschichten zu emotionalen Brücken – zwischen Organisation und Spender*in, zwischen Anliegen und konkretem Engagement.
Gute Fundraising-Geschichten schaffen Identifikation. Sie zeigen echte Menschen, ihre Herausforderungen, ihren Mut, ihre Erfolge – und vermitteln dabei eine klare Botschaft: Deine Unterstützung macht einen Unterschied. Die Spende wird so nicht nur rational begründet, sondern emotional getragen. Und das ist entscheidend für nachhaltige Bindung und die Entwicklung von Vertrauen.

Doch genau diese emotionale Kraft bringt Verantwortung mit sich. Denn Geschichten sind nicht nur Kommunikationsmittel, sondern sie prägen auch Weltanschauungen und Menschenbilder. Im nächsten Abschnitt werfen wir deshalb einen kritischen Blick auf die Schattenseiten des Storytellings – und auf die ethischen Herausforderungen, die damit einhergehen.
Die Schattenseite – Wenn Geschichten Grenzen überschreiten
So kraftvoll Geschichten im Fundraising auch sein können - sie bergen auch Risiken. Gerade wenn es darum geht, Spenden zu generieren, entsteht schnell die Versuchung, Emotionen zuzuspitzen oder besonders dramatische Lebensgeschichten in den Vordergrund zu stellen. Doch wo verläuft die Grenze zwischen berührend und übergriffig?
Ein häufiger ethischer Stolperstein ist die Reduktion von Menschen auf ihre Notlage. Geschichten, die ausschließlich Leid und Hilflosigkeit betonen, können unbeabsichtigt Stereotype verfestigen – etwa die Erzählung vom „armen Kind in Afrika“ oder von „der Frau, die gerettet werden muss“. Diese Narrative mögen kurzfristig Wirkung zeigen, untergraben jedoch langfristig Würde, Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit der dargestellten Personen.
Auch die Inszenierung von Spenderinnen als „Retterinnen“ birgt ein Machtgefälle, das subtil vermittelt: Hilfe kommt von oben – Handlungsmacht liegt nur auf einer Seite. Einseitige Heldengeschichten sind emotional wirksam, aber selten fair. Sie blenden häufig aus, dass Empowerment, Partnerschaftlichkeit und gemeinsames Handeln zentrale Werte der sozialen Arbeit sind und dass das Machtgefälle dem Problem oftmals zu Grunde liegt.
Hinzu kommt die Frage der Zustimmung und Selbstbestimmung. Wurde die Geschichte gemeinsam mit der betroffenen Person entwickelt? Wurden Zusammenhänge erklärt, Konsequenzen besprochen und Freigaben eingeholt, auch im Hinblick auf die Veröffentlichung auf Social Media, in Newslettern oder im Jahresbericht?
Ethisches Storytelling verlangt, innezuhalten und zu reflektieren:
Dient diese Geschichte wirklich der Sache – oder eher der Emotionalisierung um jeden Preis?
Würde ich selbst wollen, dass meine Geschichte so erzählt wird?
Erzählt diese Geschichte ein vollständiges Bild – oder nur einen Ausschnitt, der der Spendendramaturgie dient?
Diese Fragen sind unbequem, aber notwendig. Denn sie machen den Unterschied zwischen kurzfristiger Wirkung und langfristiger Glaubwürdigkeit.
Mitgefühl statt Mitleid – das ist der Unterschied
Im Fundraising ist es verlockend, Geschichten zu erzählen, die Mitleid wecken. Schließlich reagieren viele Menschen auf Bilder von Leid oder Notlage mit dem Impuls zu helfen – und dieser Impuls kann zu einer Spende führen. Doch Mitleid ist ein flüchtiges Gefühl. Es beruht oft auf Distanz und einem inneren Gefälle: „Zum Glück bin ich nicht in dieser Lage.“ Es positioniert die betroffene Person als „die Schwache“ und die Spendenden als „die Retter“.
Mitgefühl hingegen ist eine andere Emotion. Mitgefühl entsteht auf Augenhöhe. Es verbindet statt zu trennen. Es fragt nicht: „Wie schlimm ist das?“, sondern: „Was braucht dieser Mensch wirklich und was kann ich tun?“ Mitgefühl erkennt die Würde und Handlungskraft des Gegenübers an, auch in schwierigen Lebenssituationen. Es lädt zur solidarischen Handlung ein, nicht zur kurzfristigen Reaktion.
Im ethischen Storytelling bedeutet das:
Wir erzählen Geschichten so, dass sie Verbindung statt Überlegenheit schaffen.
Wir zeigen Menschen nicht nur als Leidtragende, sondern auch als Handelnde, als Mutige, als Menschen mit Ressourcen.
Wir vermeiden ein „Othering“ – also das Darstellen von Menschen als grundlegend anders oder hilflos, nur um Mitleid zu erzeugen.
Eine Geschichte, die Mitgefühl weckt, zeigt ein echtes Gegenüber – nicht ein Projektionsobjekt. Sie spricht nicht nur das Herz, sondern auch das Gewissen an. Und sie schafft Fundraisingbeziehungen, die auf Respekt, Vertrauen und Gleichwertigkeit beruhen.
Denn nur, wenn Spendende nicht aus Mitleid, sondern aus echter Verbundenheit heraus handeln, entsteht das, was wir uns alle wünschen: nachhaltiges Engagement.
Ethisches Storytelling - Leitlinien für gute Geschichten
Ethisches Storytelling im Fundraising beginnt mit einer Grundhaltung: Geschichten sind keine Werkzeuge zur emotionalen Manipulation, sondern Brücken zu echter Verbindung. Wer Verantwortung im Erzählen übernimmt, stellt nicht nur die Wirkung in den Vordergrund, sondern auch die Würde der Menschen, über die erzählt wird.
Ein zentraler Aspekt ist die Einwilligung. Es reicht nicht, eine Unterschrift unter ein Formular zu setzen. Wirkliche Zustimmung bedeutet, die Person umfassend zu informieren, ihr Raum für Fragen zu geben - und auch für ein Nein. Wer betroffen ist, sollte selbst entscheiden können, ob und wie die eigene Geschichte erzählt wird. Diese Selbstbestimmung ist ein Gebot des Respekts für die Betroffenen..
Darüber hinaus ist es wichtig, Menschen nicht auf ihre Notlage zu reduzieren. Geschichten, die ausschließlich Leid oder Abhängigkeit in den Vordergrund stellen, mögen kurzfristig Aufmerksamkeit erzeugen, verstärken jedoch oft stereotype Bilder und entmündigen diejenigen, über die erzählt wird. Es geht darum, den ganzen Menschen zu zeigen – mit seinen Stärken, Hoffnungen und Handlungsmöglichkeiten. Gute Geschichten erzählen vom Weg, nicht nur vom Tiefpunkt.
Auch die Sprache verdient besondere Aufmerksamkeit. Begriffe formen unsere Wahrnehmung. Formulierungen wie „die Schwächsten der Gesellschaft“ oder „hilflose Opfer“ erzeugen Mitleid, aber keine Augenhöhe. Ethisches Storytelling nutzt eine Sprache, die Menschen stärkt, nicht sie herabsetzt. Dasselbe gilt für Bilder: Sie sollten würdevoll sein, nicht bloßstellen – und in ihrem Kontext verstanden werden können.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einbettung in Zusammenhänge. Geschichten ohne Kontext können emotionalisieren, aber auch falsche Vorstellungen nähren. Warum ist jemand in Not? Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spielen mit hinein? Welche Lösungen gibt es – und wer trägt dazu bei? Wenn Geschichten tiefer gehen, machen sie das Anliegen greifbarer und die Botschaft glaubwürdiger.
Nicht zuletzt geht es darum, Geschichten mit Menschen zu erzählen – nicht über sie hinweg. Wann immer möglich, sollten Betroffene ihre eigene Perspektive einbringen können. Das erhöht nicht nur die Authentizität, sondern auch die Wirkung. Die Rolle der Organisation kann dann darin bestehen, zuzuhören, zu begleiten und Räume zu schaffen, in denen Geschichten respektvoll geteilt werden.
Am Ende müssen wir uns immer klar machen, dass wir mit den Geschichten die wir erzählen auch die Werte unserer Organisation offen legen. Der Umgang mit den Subjekten der Geschichten zeigt oft viel mehr als nur das Storytelling-Geschick der schreibenden Person. Es steht auch dafür, wie wir in unseren Projekten mit Menschen umgehen. Ethische Überlegungen im Storytelling stellen sicher, dass sich auch hier Werte wie Respekt und Umgang auf Augenhöhe widerspiegeln - und somit weiter zu unserer Glaubwürdigkeit als Organisation beitragen.
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